Das ultimativste Buch- Seite 12 942

23. November 1996 ich sitze im Wreecher Hof in Putbus vor dem Fernseher. Es ist ca. 23 Uhr und in mein Ohr dringt der Gesang von Andrea Bocelli Time to Say Goodbye.
Fast auf den Tag genau Sieben Jahre nach dem dem Fall der Mauer am 09.November 1989- heute am 23. November 1996 Henry Maske verliert in seinem geplant letzten Boxkampf und verliert den ersten BoxKampf seiner Karriere.

Neben mir steht eine Flasche Jack Daniels. Irgendwie hat die mit Johannes Mario Simmel zu tun. Eine seiner Romanfiguren, die oft selbst ein Stück Simmel verkörpern, hatte diesen Whiskey als ständigen Begleiter. In den letzten Tagen hatte ich sein Buch– Auch wenn ich lache, muss ich weinen- in einem Ritt gelesen. Irgendwie passte es zu meiner Stimmung. Ich war leer.

Das verflixte siebte Jahr nach der sogenannten Befreiung, nach dem Mauerfall. Ich hatte die Jahre irgendwie in dauernder Hochgeschwindigkeit verbracht. Alles mitgenommen was ging und jede Sicherheitsleine abgeschnitten. Jeden Tag habe ich eine weitere leere weiße Seite im ultimativsten Buch aufgeschlagen und kam mit dem Füllen dieser Seiten garnicht hinterher. Nein- ich meine nicht das Aufschreiben hinterher- ich meine dieses tägliche neue Entdecken, das Schreiben dieser Spur durch das Leben.

Gerade stand unser Einfamilienhaus im Rohbau, ein 27-Familienhaus im Ausbau und zwei weitere Projekte waren kurz vor der Fertigstellung. Begleitendes Studium in Stuttgart, dreimal viermal Urlaub im Jahr von Spanienrundreise, über Florida bis zur ersten Abfahrt in den Alpen. Den korrupten Geschäftspartner gerade losgeworden. Obwohl auch einiges gescheitert war, schien alles perfekt,und stand trotzdem ständig auf der Kippe. Unsere Familie, unsere Beziehung, unser Zusammenhalt waren stark und es war doch auch eine ständige Zerreißprobe.
Ich war leer, am Ende, wollte ich nicht mehr.
Ich hatte mich fünf Tage vorher, mitten im November, morgens auf meine Chopper gesetzt und bin einfach losgefahren, um niemals zurück zu kehren. Da passte die Hymne von Henry Maske beim Einlauf zum letzten Kampf theatralisch dazu >TIME TO SAY GOODBYE<
Vielleicht war ich auch erneut gefangen. Eingefangen von der Grenzenlosigkeit und einem Drang, alles davon auskosten zu müssen.
Unterwegs hatte ich mir noch einen neueren Film aus 1994 mit Jodie Foster, noch auf einer Videokassette, besorgt, >NELL<. Die Story und das Coverbild passten zu meiner Stimmung. Den Film hatte ich mir an diesem Vormittag schon reingezogen.

Ein faszinierender Film thematisiert den Konflikt zwischen Zivilisation und Natur.
Auf meiner Odyssee, die auf dem Motorrad in diesem verflixten siebten Jahr noch bis zum 06. Dezember 1996 dauern sollte, fuhr ich in Regen, Eis und Schneesturm von Zeithain/Riesa mal dahin, mal dorthin bis ans Cap Arcona auf der letzten Spitze der Insel Rügen und von dort ziellos treibend weiter bis ins tiefste Bayern nach Passau. Dort wollte ich sogar noch die Grenze, die es damals noch gab, überschreiten, doch dann…
…führte mich etwas Unbeschreibliches doch zurück, um meine Abenteuerreise LEBEN fortzusetzen.
Ich wog inzwischen 105 Kilogramm, hatte einen Vollbart und ich hielt als erstes beim Friseur am Rathausplatz, um zumindest ein paar Gramm loszuwerden.
Am nächsten Tag, dem 07.Dezember 1996, schlug ich, wie auch heute, erneut eine leere Seite auf in diesem ultimativsten Buch, das ich je gelesen habe und am Abend war auch diese Seite wieder mit neuen Erkenntnissen und Entdeckungen beschrieben oder gefüllt und ich war ein Stück demütiger geworden.
Die Reise geht weiter und der Blick auf eine der Seiten im ultimativsten Buch, das ich jemals gelesen habe, gewähre ich wieder am nächsten Donnerstag dem 26.August 2025.
Und jetzt wieder zurück in Woche 34 in 2025